Als am vergangenen Mittwoch um 14.05 Uhr die Agentur-Nachricht in den Redaktionsstuben einlief, dass Fußball-Bundesligist 1. FC Köln seinen Interimscoach Stefan Ruthenbeck bis Saisonende zum Cheftrainer befördert hat, löste sich 500 Kilometer nordöstlich zumindest eine Spekulation in Wohlgefallen auf. Seit Wochen hatten die Fans des glorreichen Zweitliga-Aufsteigers Holstein Kiel befürchtet, ihr Erfolgscoach Markus Anfang könnte sich zum Jahreswechsel in Richtung des Traditionsklubs aus seiner Geburtsstadt verabschieden. Damit ist also in der Trainerfrage der Fall eingetreten, von dem der KSV-Geschäftsführer Sport, Ralf Becker, fest ausgegangen ist: „Dass wir die Rückrunde mit derselben personellen Konstellation bestreiten wie die Hinserie.“
„Unser Trainer hat außergewöhnliche Fähigkeiten."
Alles geklärt also? Keineswegs. Denn die kolportierten Kontakte des „Effzeh“ sowie der TSG 1899 Hoffenheim (die Julian Nagelsmann mutmaßlich an Borussia Dortmund verlieren wird) zu Markus Anfang haben natürlich nicht nur mit der kommenden Rückrunde zu tun, sondern auch mit der Saison 2018/19. Zur Erinnerung: Anfangs bis Mitte 2019 laufender Vertrag gilt nur für die Zweite Liga. Im Falle des Aufstiegs oder des – wohl als ausgeschlossen zu betrachtenden – Abstiegs wäre der 43-Jährige frei, für welchen Arbeitgeber auch immer. Ein Zustand, den Becker gern ändern möchte. „Wir führen Gespräche mit Markus Anfang, um den Geltungsbereich seines Vertrages auf die Bundesliga zu erweitern“, sagt der 47-Jährige, der sich sicher ist: „Unser Trainer hat außergewöhnliche Fähigkeiten und wird irgendwann in der Bundesliga tätig sein. Da brauchen wir uns nichts vorzumachen.“
Ein aktuelles Thema bleibt indes das Interesse anderer Klubs an herausragenden Spielern des Tabellenzweiten. An Regisseur Dominick Drexler soll u.a. der Premier-League-Klub Newcastle United dran sein, Flügelstürmer Kingsley Schindler wird angeblich von Huddersfield Town und Werder Bremen umworben. Die Frage, ob der KSV konkrete Anfragen vorliegen, mag Becker nicht beantworten. Die Gerüchte nimmt der Ex-Profi lieber sportlich: „Fakt ist: Durch unser erfolgreiches Jahr steht der eine oder andere im Fokus von anderen Vereinen. Wir sollten das nicht negativ betrachten, denn das sind Herausforderungen, die nur deshalb auf uns zukommen, weil es so gut läuft.“
Dass die Hinrunde in der Zweiten Liga nach 36 Jahren Abwesenheit nicht gut, sondern sensationell gelaufen ist, haben neben „Mastermind“ Anfang jene zwölf Profis bewerkstelligt, die mindestens elf Einsätze absolvierten. Deren Form war so konstant gut, dass sich von den anderen „Kaderspielern“, wie der Coach seine Schutzbefohlenen nennt, niemand nachhaltig im Wettbewerb profilieren konnte. Ein Nachteil bereits für das erste Punktspiel des neuen Jahres, wenn die Störche am 23. Januar gegen Union Berlin ihre Innenverteidiger Rafael Czichos und Dominik Schmidt sowie Mittelfeld-Maschine Alexander Mühling (alle gesperrt) ersetzen müssen? Die These, dass der Holstein-Kader qualitativ nicht breit genug aufgestellt sein könnte, um das hohe Niveau bei (bislang weitgehend ausgebliebenen) Verletzungen, Formkrisen oder Sperren halten zu können, bezeichnet Ralf Becker mit Vehemenz als unzutreffend.
Becker plant keine Transfers in der Winterpause
„Es ist ein großer Fehler, die starke Hinrunde auf diejenigen Spieler mit den meisten Einsätzen zu reduzieren. Wir leben hier vom Kollektiv und reden nicht über zehn oder zwölf Spieler. Die Jungs von der Bank sind von der Qualität her ganz nah dran und gehören genauso zu unserer Erfolgsgeschichte. Von denen hätten einige sicher mehr gespielt, wenn die anderen nicht einen so guten Job gemacht hätten“, erläutert der gebürtige Leonberger und betont: „Wir haben ein sehr hohes Trainingsniveau, und jeder Spieler muss sich jede Woche aufs Neue empfehlen.“ Natürlich wolle jeder zum Einsatz kommen, niemand setze sich zufrieden auf die Bank oder die Tribüne. „Aber wenn es gut läuft, dann akzeptiert auch jeder, dass es keinen Grund gibt, regelmäßig die Aufstellung zu wechseln.“ Aus dem Vertrauen in seine Leute resultiert Beckers Konsequenz, für die Winterpause keine Transfers zu planen.
Vertragslaufzeiten bei Holstein Kiel
Bleibt vor dem Beginn der Rückrunde die Frage nach dem Saisonziel. Der möglich erscheinende Aufstieg würde die KSV-Verantwortlichen allein wegen des Holstein-Stadions, das derzeit gemäß DFL-Richtlinien noch nicht einmal Zweitliga-tauglich ist, vor immense logistische Herausforderungen stellen. Die sieht auch der Geschäftsführer Sport, doch auf den Wettkampf dürfe das keinen Einfluss haben. „Diese Aufstiegsdiskussion wird ja vor allem von außen geführt. Intern können wir alle das schon ganz gut einordnen, da hebt niemand ab. Aber ganz generell gilt: Sportlicher Erfolg ist doch immer wünschenswert und nichts, womit man jemanden überfordert. Die Frage ist doch: Wie geht man dann damit um? Personell und von der Infrastruktur her. Es ist für mich unvorstellbar, nicht in jedem Spiel den maximalen Erfolg anzustreben“, erklärt Becker. Das primäre Ziel bleibe natürlich, sich erst einmal in der Zweiten Liga zu etablieren. „Wir wollen einfach so guten Fußball spielen wie in der Hinrunde. Wenn wir das hinbekommen, werden wir auch am Ende einen einstelligen Tabellenplatz belegen.“



Das Würzburg-Syndrom soll für Holstein kein Thema werden. Die Kickers belegten als Aufsteiger nach der Hinrunde der Zweitliga-Saison 16/17 den sechsten Tabellenrang und stiegen am Ende ab. „Das wird uns nicht passieren“, sagt Ralf Becker. Man ist geneigt, ihm zu glauben. Nicht nur, weil Holstein vier Plätze höher steht.
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