Im Kixx grassiert ein Virus. Seit über zehn Jahren sorgt Rikko Tuitjer in einer ruhigen Nebenstraße der Reeperbahn dafür, dass der Kicker-Virus in Hamburg umgeht. Damals unter dem Dach eines Vereins gegründet, ist das Kixx eines der größten europäischen Kickerzentren. 18 Toptische auf zwei Ebenen und Spielangebote für jedes Niveau sind neben den lokalen Vereinen der Hauptgrund, dass Hamburg, gemessen an der Dichte von Spitzenakteuren, die deutsche Tischfußball-Hochburg ist.
Mittlerweile betreibt Tuitjer den Tischfußballtempel als Bar. Als Vereinspräsident des Hamburger Tischfußballbundes arbeitet er mit Feuereifer daran, den Kicker-Sport in die Mitte der Gesellschaft zu rücken. Aber nicht um jeden Preis: Die Nachhaltigkeit des Spiels durch Nachwuchs ist in seinen Visionen fest verankert und wichtiger als die bloße Popularität. Im Interview erklärt er, wie dieser Spagat gelingen soll.
Von Tisch 1 wird gestreamt
Als wir ihn zum Gespräch treffen, lehnt Tuitjer mit einer Schale asiatischem Essen von nebenan über seinem dunklen Holztresen. Zwei große Schaufenster erlauben von draußen einen Blick in den Laden. Links ist ein klassischer Barbereich mit Hockern und warmem Licht. Dunkles Weinrot ist der bestimmende Farbton, auch bei den Ledersesseln rechts im Loungebereich. Darüber hängt ein riesiger Flatscreen, der live in die Bar überträgt, was an Tisch 1 im Hauptraum geschieht.
Der liegt am Ende eines schmalen Durchgangs, durch den das Klackern von versenkten Bällen schallt. Elf Profitische gibt es oben, weitere sieben sind im Keller. Die Final-Area ist mit Lichttraverse, Tribüne und Live-Stream-Setup ausgestattet. Hier ist jeden Mittwoch über den Twitch-Stream das Finale des „MiDo – Mittwochsdoppel“ zu sehen, das stets so stark besetzt ist, dass zuletzt auch die amtierende Weltmeisterin und ihr Nationalmannschaftscoach „nur“ im Amateurfeld landeten.
Könner und Anfänger
Im Kixx gehen Nationalspieler und Spielerinnen ebenso ein und aus wie Anfänger. Brücken zu bauen zwischen Hobbyspielern und professionellen Akteuren sieht Rikko Tuitjer als größte Aufgabe im Tischfußball. „Das muss strukturell gut aufgestellt und durchlässig sein“, warnt er. „Tischfußball soll kein Fußball 2.0 werden, mit Eliteförderung und an der Basis bringen die Vereine die Teams für die Liga nicht mehr zusammen. Es gibt da ja immer die Diskussion: Muss das Spiel, um als Sport attraktiv zu werden, weg von der Kneipe? Ich sage: Genau dahin muss das Spiel zurück. Das Image von der verrauchten Spelunke, in der nur gesoffen wird, ist veraltet. Die Leute entdecken Kneipen und Bars als ihre zweiten Wohnzimmer, und genau da müssen die Tische hin. In Firmen auch. Überall soll gekickert werden, dann wird das auch interessant für Sponsoren und Marketing.“
Als Beispiel führt er das "Pelican" an der Paul-Roosen-Ecke an. Eine hippe Cocktailbar, die Gäste sind zwischen 18 und Mitte 30, bis ins Detail ausgefeilte moderne Einrichtung, ausgefallene Outfits und Drinks, im Nebenraum ein hochwertiger Tisch. Organisiert von Tuitjer, wem sonst. „Wenn Tischfußball es in solche Läden schafft, dann hat er eine Chance, die breite Masse zu erreichen“.
Tuitjer spricht mit Schwung, doch er sorgt sich. „Wir haben jetzt zwei Jahre Pandemie. Die Bars und Kneipen hatten zu, der Vereinsbetrieb war stark eingeschränkt, es kam kein Nachwuchs. Stattdessen sind die, die davor schon gespielt haben, zu Hause oder in kleinen Runden drangeblieben und eher noch besser geworden. Diese Kluft werden wir zu spüren bekommen. Die müssen Verbände und Vereine nun auffangen“, appelliert Tuitjer.
Erst im zweiten Atemzug ergänzt er: „Nach sieben Jahren Kixx, hat der Laden endlich begonnen, wirklich etwas abzuwerfen. Auch das ist gebremst, erklärt Tuitjer, der nebenbei als Übersetzer arbeitet. Denn wer ein großflächiges Gebäude in bester Lage auf St. Pauli anmietet, um dann gewerblich Nischensport anzubieten, muss entrückt oder ein Idealist sein. Eher zweites ist der Fall. Seine Gedanken wirken ausgereift, bereit zur Umsetzung. Auch, wie „der Zauber des Spiels“ für Firmen und Sponsoren interessant werden könnte.
Tischfußball als Firmenevent
„Normalerweise haben wir hier bis zu 30 Firmenevents hier im Jahr. Leute einer großen Abteilung reden oft das ganze Jahr lang nicht miteinander. Hier organisieren wir ein Monster-DYP, bei dem jede Runde die Teams und Gegner neu zusammengelost werden. Alle kommen miteinander in Kontakt, lachen miteinander, haben plötzlich eine Verbindung. Das spricht sich rum, ist gute Werbung für das Spiel. Im Idealfall finden sich so vielleicht Sponsoren und Nachwuchs zugleich“, sagt Tuitjer.

Nachwuchs bedeutet im Tischfußball übrigens nicht zwangsläufig "jung". Zum Einzelturnier an diesem Donnerstag sind wieder einige Cracks gekommen. Und die Freunde Alina und Sebastian. In ihrem Studizentrum steht ein Tisch, an dem sie gelegentlich mit Freunden gespielt haben. Von dort aus hat es die Gruppe in die nächste Bar mit Kickernische verschlagen. Dort spielen sie nun regelmäßig. Dann haben sie vom Kixx gelesen, den Trainingsangeboten und vom No-Pro-Turnier. Heute waren sie das erste Mal bei einem offenen Bewerb. Auch wenn sie noch nicht so richtig mithalten können und früh ausscheiden, bleiben beide bis zum Schluss und verfolgen die Finalspiele. Prognose: infiziert und bald kickerabhängig nach klassischem Verlauf. „Genau so soll das sein“, freut sich Tuitjer.

Rund 3000 Aktive zählt die Hamburger Szene aktuell, für Tuitjer ist mittelfristig mindestens das Doppelte möglich. „Wenn die Leute jeden Tag in Hamburg kickern gehen können, trainieren, Turniere spielen. Dann wächst das. Und ich bin mir relativ sicher, dass wir in Zukunft unter Normalbedingungen Sponsoren finden werden, um Preisgelder für bestimmte Turnierserien garantieren zu können. Das finde ich wichtig zur Entwicklung des Wettbewerbsgedankens. Aber es muss klar sein, dass Leute, die sich für diesen Weg entscheiden, dann bestimmte Wettbewerbe wie das No-Pro oder andere Amateurturniere nicht mehr spielen dürfen.“
No-Pro-Turniere: "Mitspielen is heute nich"
„Das ist ein bisschen ein eigenartiges Phänomen im Kickern. Da gibt es Leute, die wollen einfach immer spielen und nehmen alles mit. Dann hast du beim No-Pro einen Profi am Tisch, der nur auf 50 Prozent spielt und wenn es eng wird plötzlich anzieht. Das ist demütigend und Gift für das Spiel. So verliert man neue Leute“, erinnert Tuitjer sich schmunzelnd an Situationen, in denen er in Türstehermanier Leuten klar machen musste: „Ne echt nich´. Gern hier an der Bar, aber mitspielen is heute nich´“.
Das No-Pro-Turnier, ebenfalls eine Kixx-Erfindung: „Es ist für Anfänger und Gelegenheitsspieler und geht nur um den Spaß, Jet schießen ist verboten. Es soll Lust auf Kickern machen.“. Das Format trägt Früchte. „Mittlerweile wird das No-Pro auch in vielen anderen Orten Deutschlands gespielt, ist Garant für Nachwuchs. Ich weiß noch, als hier mal das No-Pro und parallel ein Ligaspiel lief. Die No-Pro-Leute haben dann gesehen, was am Tisch möglich ist. Das motiviert.“
Erster Weltrekordversuch ist geglückt
„Komm Kickern“ ist eine weitere Hamburger Initiative, in der sich Aktive und Tuitjer zusammengetan haben, um Tischfußball zu pushen. Links am warm ausgeleuchteten Tresen lehnt eine Urkunde des deutschen Rekordinstituts. "Weltrekord" steht darauf. Eigentlich sollte dieser in einem Riesenevent in Präsenz und digital stattfinden, das war nicht möglich. „Das gibt’s dann bald, das wird so riesig. Tausende Spieler und Spielerinnen sollen nach Hamburg kommen. Das größte Turnier, das es je gegeben hat“, erzählt Tuitjer mit aufgerissenen Augen.
2021 wurde digital aufgerufen auf allen Kanälen, sich am Stichtag über die App einzuloggen und ein Turnier zu spielen. 1905 Spieler und Spielerinnen setzten dies in die Tat um, auf der interaktiven Karte konnte man beispielsweise die Ergebnisse einer Vierergruppe verfolgen, die sich auf den Kanaren eingeloggt hatte. 125 Städte in 25 Ländern und 166 lokalisierte Spielorte wurden registriert. Ein guter Startschuss für diese Zeit. Das Ziel der App soll aber sein, eine interaktive Kicker-Landkarte und eine große gemeinsame Plattform zu schaffen, über die Turniere durchgeführt und beworben werden können. Egal wo man ist, ein Blick auf die App soll den nächsten Spielort, die Tische und deren Zustand anzeigen.



An diesem Donnerstag ist es ruhiger als gewohnt im Kixx. Deswegen spielt Tuitjer selbst mit beim Einzel, „Joschi macht die Bar und den Einlass.“ Im Halbfinale des Amateurfelds zeigt er sich spielfreudig, experimentiert, schießt Bandentore, Trickschüsse und freut sich über gelungene Aktionen des Gegners. Am Ende verliert er 7:8 und kehrt mit einem Lächeln in die Lounge zurück.
„Ein schönes Spiel“, sagt er. „Irgendwann werden so viele Leute spielen, dass der Laden hier zu klein wird.“ Er knipst die Lichter aus, „noch einen Absacker und ein Spiel?“, fragt er in die übrig gebliebene Runde und schließt den Laden ab.
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